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Kleinkunstpreise u.a.: Deutscher Kleinkunstpreis, Österreichischer Kleinkunst- und Kabarettpreis (Hauptpreis)
„Zimmerschied steckt sie alle in den Sack. Er übertrifft sich selbst bei der Premiere des neuen Programms. Vielleicht ist es nützlich, mit einem Freund reinzugehen. Vielleicht sind die Kritikeraugen ja gar nicht mehr in der Lage zu erkennen, wie gut der 57-jährige in seinem 14. Programm noch ist. „Reißwolf“, ein schöner Titel: Finstre Typen schreddern Akten, ein Mensch ist des anderen Wolf, alle Bilder sind schon da, im Kopf. Er steckt sie alle in den in den Sack. Überragend!“ Dies das Pressezitat zur Premiere des Programmes „Reißwolf“.
Auf Wikipedia ist über Sigi Zimmerschied zu lesen: 1975 gründete er zusammen mit Bruno Jonas die Kabarettgruppe „Die Verhohnepeopler“. Deren erstes Stück sorgte gleich für einen Skandal, vom Vorwurf der Gotteslästerung wurde Zimmerschied aber letztlich freigesprochen. Er wirkte auch als Schauspieler in den Filmen Peppermint Frieden von Marianne Rosenbaum, in dem Peter Fonda die Hauptrolle spielte, Grenzenlos und Der wilde Clown von Josef Rödl sowie Himmelsheim von Manfred Stelzer mit. Er zeichnet sich durch einen ätzenden derben und parteiübergreifenden Witz, eine bemerkenswerte Mimik, ein rares stimmenimitatorisches Talent sowie enorme Sprachkraft und Wortgewalt aus.
Wir freuen uns sher diesen großartigen Kabarettisten und Schauspieler präsentieren zu können.
Große Kunst auf kleinstem Raum.
Über das Stück: Der Mensch wird erst zum Menschen durch eine Aktennotiz. Und seine Existenz endet mit der Vernichtung der Akte. Quod non in actis est, non est in mundo. So dachten schon die alten Römer. So denkt auch Adalbert Stauber, Fahrer einer Aktenvernichtungsfirma. Das mache alle gleich, sagt er, zumindest vor ihm. Das sei gelebte Demokratie. Das sei angewandter Humanismus. Ein schöner Beruf. Ein deutscher Beruf. Hebamme und Bestatter, Verwalter und Henker zugleich. Aber warum flüchtet er dann? Warum tastet er sich im Dunkeln in einen Raum? Warum ist er in Todesangst? Hat er sich verirrt? Ist er krank? Hat er zu viele Akten vernichtet? Oder hat er etwa nicht alle Akten vernichtet? War seine e-mail Adresse Programm? ab.stauber @com. Adalbert Stauber ist am Ende, ein in die Enge getriebener Reisswolf. Das Publikum vor sich. Wer möchte sich das schon entgehen lassen?!
Fortsetzung des Pressezitates von oben: Die Münchner Lobeshymnen hat sich Zimmerschied schon in Februar abgeholt. Hat er sie auch verdient? Er erpresst nicht, er erzieht nur Es beginnt mit dem Ende. Adalbert Stauber wird erschossen, angeschossen zumindest. Die Figur, die nur zufällig so heißt wie der vor 100 Jahren geborene Passauer Glaspatriarch, kriegt die Rache derer zu spüren, die er … nein, nicht erpresst, die er „erzogen" hat. Denn Adalbert hat diesen Instinkt, er kann riechen, ob wer Angst hat, und der wird sein Opfer. Zum Instinkt kommt praktischerweise die umfassende Einsicht in allerlei nützliche Unterlagen, die der fiktive Adalbert als Fahrer der real existierenden Aktenentsorgungsfirma „Reißwolf" vernichten soll. Kontoauszüge, die Hirnstrommessungen des Zukunftsrates – das füttert Adalbert seinem Wolfi, dem Schredder, den er wie ein Vögelchen hätschelt und nachts verhüllt. Jedoch den geheimen Vaterschaftstest, das Foto vom „Prälaten Meierhofer und seim Bisi – des is fürs Herrli" als Werkzeug für dessen erzieherische Nebentätigkeit, die da heißt: „Respekt durch Angst erzeugen." Und wenn der labile Franz dann gleich von der Brücke springt, dann muss er das schon selber verantworten, ist ja ein erwachsener
Mensch, oder?
An diesen Punkt wird offenkundig, wer da auf der Bühne steht. Dieser Erpresser könnte „a miesa, dafeida, dreggiga Dreg" sein und sonst nix. Zimmerschied aber erhebt in kompakten 30 und 45 Minuten Spielzeit die Figur zum Charakter, indem er unklar lässt, ob dieser der pure Zyniker im Dienste des eigenen Vorteils ist, oder ob er womöglich sogar selber glaubt, dass er ja nur der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen will. So elegant Zimmerschied seine Hauptfigur schmiedet, so virtuos baut er sein Programm auf, nahtlos die Szenenübergänge, mühelos die Wechsel der Erzähler: Hier der Adalbert, dort der Taxler, der sich als Söldner meldet, weil ihn die Ausländer weniger aufregen, wenn er zurückschießen kann. Und dort der Kabarettist selbst, der en passant noch den Bundespräsidenten abwatscht („gegen den is da heilige Bruder Konrad a Hooligan"). So vorhersehbar auch der „Hendlficker-Franz" und das Politikertreffen „im Arsch vom Ackermann" sind, so überragend ist Zimmerschied, wenn er etwa eine halbe Stunde lang mit Autowerkstatt-Stablampe als einziger Beleuchtung spielt. So mancher Kollege würden versumpfen und untergehen in diesem Nichts, er blüht auf. Die Eulen-Brauen stechen aus dem Dunkel, die Stimme, voluminös und donnernd wie ein Güterzug, überrollt das Publikum. Nichts fehlt, kein Scheinwerfer, kein Requisit, der Sigi ist ja da.
Und mit der Klugheit des erfahrenen Profis bedient er verschiedenste Humorfächer und -ebenen von der büttenhaften Facebook-Kritik „Was nutzt dem Depp des Gigabyte, wenn's oben in der Birne feid?" bis zum selbstreflexiven „Zum Führer fehlt mir der Schulabschluss. Dieses Schichtenübergreifende, des hob i ned." Gratler, Nazis, bissl Kirche, der kommt nicht weg von seinen Themen, sagt der Freund. Recht traditionell in der Form ist er auch immer noch, der Sigi. Stimmt schon. Und Bob Dylan nutzt in seiner Musik das iPad viel zu wenig, außerdem sollte man nachdenken, ob a-Moll wirklich noch zeitgemäß ist. Nein, die Kritikeraugen sehen schon ganz richtig: Was Zimmerschied im „Reisswolf" zeigt, steckt nicht nur vieles von dem in den Sack, was sonst auf Kleinkunstbühnen zu sehen ist. Er steckt das Allermeiste in den Sack. Hochachtung!
Raimund Meisenberger